Schadensfall an der Hochbrücke „Rader Insel“ im Zuge der BAB A 7 über den Nord-Ostsee-Kanal

Kiel, 26.11.2013 | RBD Volker Richter Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr SH Mercatorstraße 24106 Kiel

Die Hochbrücke „Rader Insel“ im Zuge der A7 über den Nord-Ostsee-Kanal wurde im Jahr 1972 für den Verkehr freigegeben. Es handelt sich um eine 15-feldrige Stahl-Trägerbrücke mit orthotroper Fahrbahnplatte; die maximale Stützweite beträgt 222 m. Der offene Stahlüberbau lagert mit seinen Längsträgern auf insgesamt 14 Pfeilerpaaren. ( » Dokument 1 Übersichtsblatt, Bild 2 Pfeilerschnitt)


Bild 2 - Pfeilerschnitt

Bei den Stützen handelt es sich um Stahlbeton-Hohlpfeiler, die bauseits lediglich mit Zugangstüren zum Innenraum, jedoch nicht mit einer Treppenanlage ausgestattet worden waren. Da gem. Abnahmeniederschrift auf den Pfeilerinnenseiten keine Mängel vorhanden waren, bestand auch keine Veranlassung einer handnahen Bauwerksprüfung. Erst mit zunehmendem Bauwerksalter, mit zunehmender Beanspruchung durch überproportional gestiegenem Schwerverkehr und aufgrund der Fortschreibung der RI-EBW-PRÜF, die u.a. eine Nachrüstung von Treppen in Hohlpfeilern zuließ, traten bei der Straßenbauverwaltung des Landes Schleswig-Holstein Überlegungen auf, durch Nachrüstung geeigneter Zugangstechnik eine handnahe Prüfung der Pfeilerinnenseiten zu gewährleisten. Die Abwägung verschiedener Möglichkeiten führte dazu, in allen 28 Pfeilern Steigleitern mit Zwischenpodesten nachzurüsten. Die Fertigstellung dieser Leitern erfolgte in den Jahren 2007 und 2008, so dass bei der dann nächsten Bauwerksprüfung (Hauptprüfung 2009) auch eine handnahe Prüfung der Pfeilerinnenseiten erfolgen konnte.

Bei dieser Prüfung wurden bei mehreren Pfeilern im Übergangsbereich zwischen aufgehenden Wänden und Pfeilerköpfen (Bild 3) Hohlstellen sowie z.T. abgetrennte Bewehrungseisen festgestellt. Diese Schäden wurden vom zuständigen Bauwerksprüfer mit (S-V-D) 2-0-3 bewertet (Bilder 4 und 5). Zusätzlich empfahl er, eine statische Beurteilung vorzunehmen. Diese Beurteilung schloss mit dem Ergebnis ab, dass die Querschnittsschwächungen für das Abtragen der Lasten unkritisch waren, woraufhin die Bewertung auf 1-0-3 zurückgestuft wurde. Zusätzlich wurden bei der Einfachen Prüfung im Jahr 2012 keine Schadensveränderungen festgestellt. Insofern bestand kein vordringlicher Sanierungsbedarf.


Bild 3 - Pfeilerkopf

Bild 4 - Schäden

Bild 5 - Schäden

Zur Wiederherstellung der Dauerhaftigkeit wurde jedoch entschieden, die mangelbehafteten Bereiche instand zu setzen. Bei den Instandsetzungsarbeiten, die im Jahr 2013 in Angriff genommen worden sind, stellte sich jedoch heraus, dass die Fehlstellen wesentlich größer waren als bei der Bw-Prüfung festgestellt. Insbesondere wurde augenscheinlich, dass die Hohlstellen weit bis ins Innere der Pfeilerwände hineinreichten, was durch den Bauwerksprüfer beim üblichen Abklopfen der Wände nicht festzustellen war.

Nach kurzfristig erfolgte Einschaltung eines fachkundigen Ingenieurbüros ergab sich, dass die Standsicherheit der geschädigten Pfeiler und damit des Gesamtbauwerkes nicht mehr aufrechterhalten werden konnte; es mussten unverzüglich Nutzungseinschränkungen  vorgenommen werden, die wie folgt aussahen:

  • Sperrung des Bauwerkes für Fahrzeuge ab 7,5 t,
  • Reduzierung des Verkehrs auf eine Fahrbahn pro Fahrtrichtung.

Zusätzlich wurden folgende Sofortmaßnahmen (siehe Anlage 08) veranlasst:

  • Umklammerung / Gurtung des Übergangsbereiches Pfeilerwand / Pfeilerkopf bei allen 28 Pfeilern mittels vorgespannter Stahlträger (Bilder 6 - 9) , um eine Spreizung der geschädigten Pfeilerwände zu verhindern,
  • Fortsetzung der Betonsanierungsarbeiten; Durchführung jedoch nur bei den bereits „gesicherten“ Pfeilern und abschnittsweise nach Vorgaben des Prüfingenieurs; Verfüllung der Hohlstellen vom Pfeilerinneren aus mittels Spritzbeton.
  • Durchführung von ständigen Sonderprüfungen aller Pfeiler.

Bild 6 - Gurtung

Bild 7 - Gurtung Prinzip

Bild 8 - Pfeilerkopf


Bild 9 - Pfeilerkopf
Bei den Sonderprüfungen wurde festgestellt, dass es  -  vermutlich durch Überbeanspruchungen der gedrückten Bereiche  -  an verschiedenen Pfeileraußenseiten zu Rissbildungen mit Rissweiten bis zu 0,3 mm und zu stark ausgebildeten Betonzerstörungen („Zermahlungen“) unterhalb der Pfeilerköpfe bei einzelnen Pfeilern gekommen war. Dies führte dazu, die Instandsetzungsarbeiten noch kleinteiliger ausführen zu müssen und bei einem Pfeiler das ursprünglich verfolgte Prinzip der Hohlstellenverfüllung zu verlassen. Hier wurde es erforderlich, die geschädigten Wände auf ca. 30 cm Höhe unterhalb des Pfeilerkopfes abschnittsweise vollständig abzutragen und danach durch Vergussbeton zu ergänzen. Der betroffene Pfeiler wurde hierzu von unten her eingerüstet (Bild 10).


Bild 10 - Einrüstung

Nach Abschluss der Instandsetzungsmaßnahmen konnte das Bauwerk am 8. November 2013 wieder uneingeschränkt dem Verkehr zur Verfügung gestellt werden; nicht aufgehoben wurde lediglich die Sperrung der Standspur.

Ob und ggf. mit welchen Auflagen genehmigungspflichtiger Schwerverkehr zugelassen werden kann, müssen weitere Nachweise zeigen.
Inwieweit zukünftig zusätzlich zu den turnusmäßig erforderlichen Einfachen und Hauptprüfungen Sonderprüfungen durchzuführen sind, ist ebenfalls noch festzulegen.

Erwähnenswert ist außerdem, dass die Brücke derzeitig auf der Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie des BMVBS nachgewiesen wird; das Bauwerk gehört zu denjenigen mit der höchsten Priorität der sog. BASt-Liste. Inwieweit die Schädigungen sich auf die Ergebnisse auswirken werden  -  insbesondere im Hinblick auf die Restnutzungsdauer  -  werden die weiteren Nachweise ergeben.

Konsequenzen für die Bauwerksprüfung:
Aufgrund der Historie des Bauwerkes und der bei der Abwicklung des aufgetretenen Schadensfalles gewonnenen Erfahrungen ergeben sich für die Bauwerksprüfung grundsätzlich die folgenden Konsequenzen:

  • Vom Prinzip der handnahen Prüfung darf nicht abgewichen werden.
  • Die Mangelfreiheit nicht zugänglicher Bauwerksteile ist ggf. kritisch zu hinterfragen.
  • Fehlende Besichtigungseinrichtungen sollten nachgerüstet werden; ggf. ist die Zugänglichkeit z.B. durch Auf- und Abbau geeigneter Einrichtungen zu gewährleisten (z.B. Bau eines Gerüstes).
  • Bei nicht möglicher eindeutiger Aussage im Hinblick auf die Schadensbewertung muss eine objektbezogene Schadensanalyse erfolgen.
  • In Abhängigkeit vom Schädigungsgrad sind die Bauwerksprüfungen zu intensivieren (Durchführung von Sonderprüfungen).
  • Bei älteren Bauwerken werden ggf. auch nach erfolgten Instandsetzungen zusätzliche Sonderprüfungen erforderlich.

Bei hohen Pfeilern in Gleitschalungsbauweise ist auf Hohlstellen / Fehlstellen bei den Wandabschlüssen besonders zu achten. Insbesondere bei Pfeilerköpfen mit einer auf den Wänden abgesetzten und belassenen Schalung aus Stahlbeton-Fertigteildielen besteht eine erhöhte Gefahr von Fehlstellen. Größere Fehlstellen bei dem inneren Auflager der Pfeilerköpfe auf den Wänden führen zu Standsicherheitsproblemen, die umfassend zu beurteilen sind.